125 Jahre neuapostolische Kirchengemeinde in Wiesbaden: Wer sind wir und wo kommen wir her? Ich lade Sie und Euch ein, kurz diesen beiden Fragen auf den Grund zu gehen.
Die heutige Neuapostolische Gemeinde Wiesbaden entstand als damals noch Apostolische Gemeinde genannt im Jahr 1898. 1897 waren die ersten Menschen aus Wiesbaden in der schon bestehenden Apostolischen Gemeinde Mainz zum neuapostolischen Glauben übergetreten und hatten dort das Sakrament der Heiligen Versiegelung empfangen. Zudem zogen in diesem Jahr neuapostolische Christen nach Wiesbaden. In der Folge fanden erste Gottesdienste in Wiesbaden in Wohnungen statt. Es waren zu Beginn wohl zwei Familien und vielleicht ein paar Einzelpersonen, die hier zusammenkamen.
Doch bereits am 2. Osterfeiertag des Jahres 1898 wurde die Gemeinde kirchenrechtlich selbständig. Dies ist das Gründungsdatum unserer Gemeinde. Es wurden an jenem Ostertag auch Räumlichkeiten geweiht, d.h. ein erstes Kirchenlokal in der hinterhofartigen Kleinen Schwalbacher Straße 10 bezogen. Hier fand die Gemeinde die ersten zehn Jahre ihr Zuhause.
Es waren bescheidene Anfänge. Die Gemeinde bestand überwiegend aus Menschen unterer sozialer Schichten: Arbeiter, Handwerker, Kleinbürger. Ohne dass es hierzu eine soziologische Studie gibt, wage ich zu behaupten, dass gerade die zentralstehenden neuapostolischen Lehren von der nahe zu erwartenden Wiederkunft Christi und vom Apostelamt in der Gegenwart eine starke Anziehungskraft auf diese - oftmals den etablierten Kirchen entfremdeten - Menschen um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert darstellte. Bescheidenste Anfänge waren es, die uns über Jahrzehnte - auch in der Selbstwahrnehmung - geprägt haben. Eine Kirche, eine Gemeinde von kleinen Leuten. Es mag dahin gestellt bleiben, ob dies und wie lange wirklich so war. Wie wir aus Erfahrungen wissen, fallen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung oft etwas auseinander. Und auch von außen variierte dies: Für die einen fromme oder strenge Christen, für andere – gelinde gesagt - religiöse Sonderlinge. Oder man nahm das kleine Grüppchen gewollt oder ungewollt nicht wahr …
Die ersten dreißig Jahre waren von vielfachen Umzügen geprägt. Immer wieder suchte die Gemeinde ein neues Zuhause. So fanden Gottesdienste bspw. in der Oranienstraße in einer ehemaligen Schreinerei, in einem Tanzsaal in der Friedrichstraße, in einer ehemaligen Salbenmanufaktur am Kaiser-Friedrich-Bad und gastweise – wofür wir bis heute dankbar sind – in der englischen Kirche am Warmen Damm statt. Ein langsames und kontinuierliches Wachstum ging im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts in ein wirkliches Breitenwachstum der Gemeinde über.
1921 wurden die ersten beiden Tochtergemeinden auf heutigem Wiesbadener Stadtgebiet gegründet. In den nächsten Jahrzehnten folgten weitere Ausgründungen neuer Gemeinden auf Wiesbadener Stadtgebiet und im weiteren Umland. 1932 fanden auch die Wanderjahre der Gemeinde zunächst ein Ende. Das Gebäude einer ehemaligen Freimaurerloge in der Adelheidstraße konnte erworben und zu einem Kirchengebäude umgebaut werden. Dieses Gebäude besaß erstmals mit Pfeifenorgel und Buntglasfenstern wirklich einen sakralen Charakter und war ebenfalls gut dreißig Jahre Schauplatz neuapostolischen Lebens in Wiesbaden.
Die Nachkriegsjahre waren Zeiten eines besonderen Wachstums. Zum einen galt es, neuapostolische Menschen, welche als Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten nach Wiesbaden kamen, in die Gemeinden zu integrieren, zum anderen – und dies in noch größerem Maße – zeigte sich in jenen Jahren eine große Sinnsuche in der Nachkriegsgesellschaft, in welcher viele Menschen in der Neuapostolischen Kirche Antworten und schließlich ihr geistliches Zuhause fanden.
Da die Kirche in der Adelheidstraße die Gemeinde nicht mehr fassen konnte, wurden weitere Gemeinden in der Innenstadt gegründet. Da somit neuer Platzbedarf als auch der Bedarf einer Zentralkirche für überregionale Gottesdienste bestand, wurde dann in den 1950er Jahren der Neubau einer Kirche ins Auge gefasst. Endlich konnte ein Bauplatz gefunden werden, so dass hier in der Schiersteiner Straße eine – zumindest für neuapostolische Verhältnisse – imposante Kirche errichtet werden konnte. Nach Bauabschluss erfolgte die Weihe der Kirche am 29. März 1959 – einem Ostersonntag. Seitdem ist sie das Zuhause der Gemeinde Wiesbaden.
Diese Kirche spielte als Zentralkirche jahrzehntelang eine weit über Wiesbaden herausgehende Rolle. Ohne zu übertreiben, war sie „die Kirche“ für Hessen und ein identifikationsstiftendes Gebäude für neuapostolische Christen in ganz Hessen. Hier fanden besondere überregionale Gottesdienste und Veranstaltungen statt. Diese zentrale Rolle hat auch das Gemeindeselbstbewusstsein über Jahre geprägt. Noch heute spielt die Kirche in der Schiersteiner Straße eine solche Rolle, wenn auch nicht mehr so ausgeprägt wie in den vergangenen Jahrzehnten. Dennoch ist sie sowohl Gemeinde- als auch Zentralkirche geblieben.
Wie im gesamten mitteleuropäischen Christentum sind auch an uns demographischer Wandel und die Phänomene einer – auch wenn wir dies oft nicht wahrhaben wollen – schon postsäkularen Gesellschaft nicht vorübergegangen. Etliche Tochtergemeinden wurden wieder mit unserer Gemeinde zusammengeführt und sind somit wieder in der Muttergemeinde zu Hause.
Im 125. Jubiläumsjahr gehören 615 Mitglieder zur Gemeinde.
Die Fremdwahrnehmung ist wahrscheinlich unverändert geblieben: Religiöse Sonderlinge, fromme Christen … oder: „Wer ist das?“ Vieles hat sich jedoch deutlich verändert: Die Zusammensetzung hat sich in 125 Jahren deutlich gewandelt; heute gehören Menschen aller sozialen Schichten zur Gemeinde. Auch sind wir lange keine rein deutsche Gemeinde mehr: Menschen unterschiedlicher ethnischer Hintergründe und aus verschiedenen Nationen und Sprachfamilien haben in unserer Gemeinde ihr geistliches Zuhause. So finden sich in unserer Gemeinde Mitglieder und Gottesdienstbesucher unterschiedlicher Herkunft und mit unterschiedlichen Wurzeln aus Ländern wie beispielsweise: Österreich, Italien, USA, Russland, Türkei, Afghanistan, Elfenbeinküste, Kenia, Ghana, Äthiopien, Nicaragua, Kolumbien, Israel und Dänemark. So werden auch vielfach die Predigten simultan übersetzt: in Englisch, Spanisch, die Deutsche Gebärdensprache und nach Bedarf auch in andere Sprachen.
Voll Begeisterung wirken wir heute auch in der ökumenischen Zusammenarbeit in unserer Landeshauptstadt mit. Wir freuen uns über das christliche Miteinander mit unseren Schwestern und Brüdern in anderen Kirchenabteilungen.
Wir wollen eine offene Gemeinde für Menschen aller sozialen Schichten und jeden Alters sein. Unabhängig von ihrer Geburt und Herkunft. In Teilen gelingt uns dies auch sichtbar, so werden unsere Gottesdienste und kirchlichen Veranstaltungen von Menschen jedes Alters – sogenannte objektive Dritte bemerken oft: überraschend gut - besucht. Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, dass vom Säugling bis zum Fast-Methusalem Menschen aller Altersgruppen in unseren Gottesdiensten sichtbar sind. Wir wollen heute wie vor 125 Jahren ein Ort sein, wo das Evangelium verkündigt und im Miteinander gelebt wird. Auch heute wie vor 125 Jahren stehen der Glaube an die Wiederkunft Christi und das Apostelamt noch immer an besonderer Stelle, wenn auch die Akzentuierung heute mehr inkludierend als abgrenzend ist.
Wir sind eine Großstadtgemeinde: Wie schon erwähnt, gehören zu uns Menschen aus unterschiedlichen Ländern, aber auch aus wirklich allen Regionen Deutschlands. Eine hohe Fluktuation durch Zu- und Wegzüge prägt unser Gemeindebild und –leben, bringt auch immer wieder neue Herausforderungen mit sich.
Wir möchten alle Menschen mit ihren Fähigkeiten und Gaben in das Gemeindeleben einbinden, sei es beispielsweise im musikalischen Bereich in Chor, Orchester, an Klavier oder Orgel, in der Kinder-, Jugend-, Seniorenarbeit, in unterschiedlichen Gruppen oder bei unterschiedlichen Aktionen in der Gemeinde.
Heute wie vor 125 Jahren möchten wir Menschen erreichen und die Nähe Jesu erlebbar machen. Das christliche Zeugnis in neuapostolischer Ausprägung hörbar und sichtbar machen.
22. August 2023
Text:
Matthias Hagemann
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